InKalkTier-Bewertungsmethode Tiergerechtheitspotenzial: Unterschied zwischen den Versionen

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=== 1 Wichtige Begriffe und Formeln zum Verständnis ===
=== 1 Wichtige Begriffe und Formeln zum Verständnis ===
'''Tiergerechtheitspotenzial (TGP):''' Rechnerischer Beitrag den baulich-technische Elemente eines Haltungsverfahrens zur tiergerechten Haltung leisten. Das Potenzial wird mit einem Wert auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei 0 als „nicht tiergerecht“ und 1 als „besonders tiergerecht“ interpretiert werden kann.
'''Tiergerechtheitspotenzial (TGP):''' Rechnerischer Beitrag den baulich-technische Elemente eines Haltungsverfahrens zur tiergerechten Haltung leisten. Das Potenzial wird mit einem Wert auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei 0 als „wenig tiergerecht“ und 1 als „besonders tiergerecht“ interpretiert werden kann


'''<big>TGP = ∑ TGW<sub>A</sub></big>'''
'''<big>TGP = ∑ TGW<sub>A</sub></big>'''
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TGW<sub>A</sub> = Tiergerechtheitswert je Attribut
TGW<sub>A</sub> = Tiergerechtheitswert je Attribut


'''Tiergerechtheitswert (TGW):''' Multipliziert man den Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt dies den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut.
'''Tiergerechtheitswert (TGW):''' Multipliziert man den Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt dies den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut


'''<big>TGW<sub>A</sub> = LS<sub>A</sub> ∙ GF<sub>A</sub></big>'''
'''<big>TGW<sub>A</sub> = LS<sub>A</sub> ∙ GF<sub>A</sub></big>'''
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GF<sub>A</sub> = Gewichtungsfaktor je Attribut
GF<sub>A</sub> = Gewichtungsfaktor je Attribut


'''Attribut:''' Baulich-technische Elemente innerhalb eines Haltungsverfahrens, z. B. Bodentyp, Licht, Kühlungsmöglichkeiten
'''Levelscore (LS):''' Für die Level der Attribute wird im Hinblick auf deren Einfluss auf die Tiergerechtheit eine Rangfolge festgelegt. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet
[[Datei:Formel Levelscore TGP.png|links|rahmenlos]]


'''Funktionskreis:''' Die Attribute werden den Verhaltensweise der Tiere und den entsprechenden Funktionskreisen zugeordnet, z. B. Erkundungsverhalten.


'''Gewichtungskategorien:''' Klassifizieren die Aussagen aus wissenschaftlichen Studien, die sich positiv oder negativ auf das Wohlergehen der Tiere auswirken können. Anhand dieser Kategorien werden die Einflüsse und Auswirkungen von Leveln eines Attributes auf die Tiergerechtheit bewertet. Die Bewertung erfolgt durch 12 definierte Kategorien (9 negative und 3 positive Kategorien).


'''Gewichtungswerte:''' Werden abhängig von den Gewichtungskategorien und einer Literaturaussage vergeben. Basierend auf der Intensität, Dauer und Häufigkeit spiegeln sie den Schweregrad des Einflusses eines Levels auf das Tier wider und können einen negativen oder positiven Einfluss haben, was sich durch das Vorzeichen des Wertes ausdrückt.


'''Gewichtungsfaktor (GF)''': Summe der jeweils maximalen Gewichtungswerte je Gewichtungskategorie des besten Levels – Summe der jeweils schlechtesten Levels


'''Level:''' Ausprägung von Attributen, z. B. planbefestigter Boden, perforierter Boden, teilperforierte Boden. Die Summe aller Level beschreibt ein Haltungsverfahren.


'''Levelscore (LS):''' Für die Level der Attribute wird im Hinblick auf deren Einfluss auf die Tiergerechtheit eine Rangfolge festgelegt. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet.
 
<small>Tab. 1: Beispielberechnung des Levelscores für das Tiergerechtheitspotenzial</small>
{| class="wikitable"
!Funktionskreis
!Attribut
!Level
!Ausprägung
!Levelscore
|-
| rowspan="3" |Futter- und Wasseraufnahme
| rowspan="3" |Tränketyp
|1
|Beckentränke mit automatischer Dosierung
|1
|-
|2
|Beckentränke mit Selbstdosierung
|0,5
|-
|3
|Nippeltränke
|0
|-
| rowspan="4" |Körperpflegeverhalten
| rowspan="4" |Komforteinrichtung
|1
|Bürsten
|1
|-
|2
|Scheuerbalken
|0,67
|-
|3
|geschlossene Buchtentrennwand
|0,33
|-
|4
|nicht vorhanden
|0
|}
Für Level 2 des Attributs Tränketyp berechnet sich der Levelscore laut Formel: (3 – 2) / (3 – 1) = 0,5
 
Für Level 3 des Attributs Komforteinrichtung berechnet sich der Levelscore laut Formel: (4 – 3) / (4 – 1) = 0,33
 
 
'''Level:''' Ausprägung von Attributen, z. B. planbefestigter Boden, perforierter Boden, teilperforierte Boden
 
'''Attribut:''' Baulich-technische Elemente innerhalb eines Haltungsverfahrens, z. B. Bodentyp, Tränketyp, Kühlungsmöglichkeiten, Komforteinrichtung
 
'''Funktionskreis:''' Die Attribute werden den Verhaltensweise der Tiere und den entsprechenden Funktionskreisen zugeordnet, z. B. Erkundungsverhalten
 
'''Gewichtungsfaktor (GF)''': Die Gewichtung eines Attributs geteilt durch die Summe der Gewichtungen aller Attribute (Abb. 4)
[[Datei:Formel Gewichtungsfaktor TGP.png|links|rahmenlos]]
 
 
 
 
 
 
 
'''Gewichtung (G)''': Summe der jeweils maximalen Gewichtungswerte je Gewichtungskategorie des besten Levels – Summe der jeweils schlechtesten Levels (Abb. 4)
 
'''Gewichtungswerte:''' Werden abhängig von den Gewichtungskategorien und einer Literaturaussage vergeben. Basierend auf der Intensität, Dauer und Häufigkeit spiegeln sie den Schweregrad des Einflusses eines Levels auf das Tier wider und können einen negativen oder positiven Einfluss haben, was sich durch das Vorzeichen des Wertes ausdrückt
 
'''Gewichtungskategorien:''' Klassifizieren die Aussagen aus wissenschaftlichen Studien, die sich positiv oder negativ auf das Wohlergehen der Tiere auswirken können. Anhand dieser Kategorien werden die Einflüsse und Auswirkungen von Leveln eines Attributes auf die Tiergerechtheit bewertet. Die Bewertung erfolgt durch 12 definierte Kategorien (9 negative und 3 positive Kategorien, Tab. 2)
[[Datei:Abbildung Berechnung TGP.png|zentriert|gerahmt|<small>Abb. 1: Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials (© KTBL; L. Brucker)</small>]]


=== 2 Semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002) ===
=== 2 Semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002) ===
Der Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials (TGP) für InKalkTier (Benthin et al. 2023a) liegt ein semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002) zugrunde. Anhand des Modells können Literaturaussagen (sogenannte Statements) aus der wissenschaftlichen Literatur einbezogen werden (Abb. 1), um Attribute eines Haltungsverfahrens (z. B. Bodentyp) mit ihren jeweiligen Leveln (z. B. perforierter Boden, planbefestigter Boden hinsichtlich ihrer Effekte auf die Tiergerechtheit zu bewerten.   
Der Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials (TGP) für InKalkTier (Benthin et al. 2023a) liegt ein semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002) zugrunde. Anhand des Modells können Literaturaussagen (sogenannte Statements) aus der wissenschaftlichen Literatur einbezogen werden, um Attribute eines Haltungsverfahrens (z. B. Bodentyp) mit ihren jeweiligen Leveln (z. B. perforierter Boden, planbefestigter Boden) hinsichtlich ihrer Effekte auf die Tiergerechtheit zu bewerten.   
[[Datei:Bild4.jpg|alternativtext=Abb. 1: Modifizierte Darstellung des semantischen Modellansatzes zur Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials (nach Bracke et al. 2002)|mini|Abb. 1: Modifizierte Darstellung des semantischen Modellansatzes zur Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials (nach Bracke et al. 2002) |zentriert|800x800px]] 
 
===== Attribute beschreiben Bedürfnisse =====
===== Attribute beschreiben Bedürfnisse =====
Die Attribute mit ihren Leveln sind eng an mindestens ein Bedürfnis der entsprechenden Tierart geknüpft, das im Haltungsverfahren erfüllt sein muss, um eine hohe Tiergerechtheit gewährleisten zu können (z. B. Legehennen mit Attribut: Sitzstangen und Bedürfnis: Ruhen). Bei der Auswahl der Attribute zur Bewertung der Haltungsverfahren werden die Attribute so gewählt, dass möglichst alle Bedürfnisse der Tiere abgedeckt werden. Die Bewertung der entsprechenden Level eines Attributs werden anhand von Gewichtungskategorien (Weighting Categories, Tab. 1) bewertet, die je nach Effekt auf die Tiergerechtheit positiv (natürliches Verhalten, Präferenz, Bedarf) oder negativ (Schmerz, Krankheit, Überleben, Fitness, HPA, SAM, Aggression, abnormales Verhalten, Frustration und Vermeidung) gewichtet werden.  
Die Attribute mit ihren Leveln sind eng an mindestens ein Bedürfnis der entsprechenden Tierart geknüpft, das im Haltungsverfahren erfüllt sein muss, um eine hohe Tiergerechtheit gewährleisten zu können (z. B. Legehennen mit Attribut: Sitzstangen und Bedürfnis: Ruhen). Bei der Auswahl der Attribute zur Bewertung der Haltungsverfahren werden die Attribute so gewählt, dass möglichst alle Bedürfnisse der Tiere abgedeckt werden. Die Bewertung der entsprechenden Level eines Attributs werden anhand von Gewichtungskategorien (Weighting Categories, Tab. 2) bewertet, die je nach Effekt auf die Tiergerechtheit positiv (natürliches Verhalten, Präferenz, Bedarf) oder negativ (Schmerz, Krankheit, Überleben, Fitness, HPA, SAM, Aggression, abnormales Verhalten, Frustration und Vermeidung) gewichtet werden.  


Tab. 1: Drei positive (grün) und neun negative (rot) Gewichtungskategorien, die Messungen aus Studien im Hinblick auf das Tierwohl kategorisieren, mit ihren Definitionen und Gewichtungswerten (nach Bracke et al. 2002)
<small>Tab. 2: Drei positive (grün) und neun negative (rot) Gewichtungskategorien, abgeleitet aus Studien im Hinblick auf Tiergerechtheit, mit ihren Definitionen und Gewichtungswerten (nach Bracke et al. 2002)</small>
{| class="wikitable"
{| class="wikitable"
|'''Gewichtungs-kategorie'''
|'''Gewichtungs-kategorie'''
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|style="background:#CEEAB0"| Natürliches Verhalten
|style="background:#CEEAB0"| Natürliches Verhalten
|style="background:#CEEAB0"|Belege für Verhalten  unter (semi-)natürlichen Bedingungen, einschließlich Zeitbudgets und  Spezies-Spezifität dieses Verhaltens.
|style="background:#CEEAB0"|Belege für Verhalten  unter (semi-)natürlichen Bedingungen, einschließlich Zeitbudgets und  Spezies-Spezifität dieses Verhaltens.
|style="background:#CEEAB0"|<nowiki>+ 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#CEEAB0"| +1 / +2 / +3
|-
|-
|style="background:#CEEAB0"|Präferenz
|style="background:#CEEAB0"|Präferenz
|style="background:#CEEAB0"|Hinweise auf  Präferenzen (z. B. Erkenntnisse aus Präferenztests), die in der gegebenen  Haltungsumgebung gezeigt werden.
|style="background:#CEEAB0"|Hinweise auf  Präferenzen (z. B. Erkenntnisse aus Präferenztests), die in der gegebenen  Haltungsumgebung gezeigt werden.
|style="background:#CEEAB0"|<nowiki>+ 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#CEEAB0"| +1 / +2 / +3
|-
|-
|style="background:#CEEAB0"|Bedarf
|style="background:#CEEAB0"|Bedarf
|style="background:#CEEAB0"|Belege dafür, dass  Tiere sich anstrengen, um eine Ressource zu erhalten.
|style="background:#CEEAB0"|Belege dafür, dass  Tiere sich anstrengen, um eine Ressource zu erhalten.
|style="background:#CEEAB0"|<nowiki>+ 1 / 3 / 5</nowiki>
|style="background:#CEEAB0"| +1 / +3 / +5
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Schmerz
|style="background:#FEC7BE"|Schmerz
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  Schmerzen, einschließlich Lahmheit und Hautläsionen, die z. B. durch  Aggression entstanden sind.
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  Schmerzen, einschließlich Lahmheit und Hautläsionen, die z. B. durch  Aggression entstanden sind.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 3 / 5</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -3 / -5
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Krankheit
|style="background:#FEC7BE"|Krankheit
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  Gesundheitsproblemen, einschließlich erhöhter Sterblichkeit, jedoch ohne  Lahmheit, Hautläsionen und spezifische Überlebensaspekte.
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  Gesundheitsproblemen, einschließlich erhöhter Sterblichkeit, jedoch ohne  Lahmheit, Hautläsionen und spezifische Überlebensaspekte.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 3 / 5</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -3 / -5
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Überleben
|style="background:#FEC7BE"|Überleben
|style="background:#FEC7BE"|Belege für eine  verringerte Überlebensrate aufgrund physiologischer Erfordernisse (mit  Ausnahme spezifischer Gesundheitsprobleme), z. B. Langlebigkeit, Nahrungs-  oder Wasserentzug und schlechtes Klima.
|style="background:#FEC7BE"|Belege für eine  verringerte Überlebensrate aufgrund physiologischer Erfordernisse (mit  Ausnahme spezifischer Gesundheitsprobleme), z. B. Langlebigkeit, Nahrungs-  oder Wasserentzug und schlechtes Klima.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 3 / 5</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -3 / -5
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Fitness
|style="background:#FEC7BE"|Fitness
|style="background:#FEC7BE"|Hinweise auf eine  verminderte Fitness (die wahrscheinlich auf einen negativen Affekt hinweist),  einschließlich (Re‑)Produktionseffekten, aber ohne spezifische  Überlebensaspekte im Zusammenhang mit physiologischen Notwendigkeiten, Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse  (HPA) und Krankheit.
|style="background:#FEC7BE"|Hinweise auf eine  verminderte Fitness (die wahrscheinlich auf einen negativen Affekt hinweist),  einschließlich (Re‑)Produktionseffekten, aber ohne spezifische  Überlebensaspekte im Zusammenhang mit physiologischen Notwendigkeiten, Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse  (HPA) und Krankheit.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -2 / -3
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|HPA
|style="background:#FEC7BE"|HPA
|style="background:#FEC7BE"|Hinweise auf eine  Aktivierung der HPA-Achse, die auf einen Stresszustand hinweist.
|style="background:#FEC7BE"|Hinweise auf eine  Aktivierung der HPA-Achse, die auf einen Stresszustand hinweist.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 3 / 5</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -3 / -5
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|SAM
|style="background:#FEC7BE"|SAM
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen für eine  Aktivierung des sympathoadrenomedullären Systems (SAM), die auf einen negativen Affekt  hinweist, z. B. erhöhte Herzfrequenz und (Nor‑)Adrenalinspiegel.
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen für eine  Aktivierung des sympathoadrenomedullären Systems (SAM), die auf einen negativen Affekt  hinweist, z. B. erhöhte Herzfrequenz und (Nor‑)Adrenalinspiegel.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -2 / -3
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Aggression
|style="background:#FEC7BE"|Aggression
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von erhöhter  Aggression, ausgenommen Hautverletzungen (vgl. Gewichtungskategorie „Schmerz“).
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von erhöhter  Aggression, ausgenommen Hautverletzungen (vgl. Gewichtungskategorie „Schmerz“).
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -2 / -3
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Abnormales Verhalten
|style="background:#FEC7BE"|Abnormales Verhalten
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen für  gestörtes Verhalten, wie orale Stereotypien, Apathie und gestörtes  Sexualverhalten.
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen für  gestörtes Verhalten, wie orale Stereotypien, Apathie und gestörtes  Sexualverhalten.
|style="background:#FEC7BE"|<nowiki>- 1 / 2 / 3</nowiki>
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -2 / -3
|-
|-
|style="background:#FEC7BE"|Frustration und  Vermeidung
|style="background:#FEC7BE"|Frustration und  Vermeidung
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  blockiertem Verhalten oder Deprivation, einschließlich der Bereitschaft zu  arbeiten, um eine Behandlung zu vermeiden.
|style="background:#FEC7BE"|Anzeichen von  blockiertem Verhalten oder Deprivation, einschließlich der Bereitschaft zu  arbeiten, um eine Behandlung zu vermeiden.
|style="background:#FEC7BE"| - 1 / 2 / 3
|style="background:#FEC7BE"| -1 / -2 / -3
|}
|}


HPA = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse; SAM = sympathoadrenomedullären Systems
<small>HPA = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse; SAM = sympathoadrenomedullären Systems</small>


In Abhängigkeit der Literaturaussagen und der Gewichtungskategorie werden Gewichtungswerte (sogenannter Weighting Scores, Tab. 1) von (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben, während in Sonderfällen Gewichtungswerte von 0 sowie (±) 0,01 oder 0,5 vergeben werden können (eine ausführliche Erklärung der Vergabe von Gewichtungswerten erfolgt unten).
In Abhängigkeit der Literaturaussagen und der Gewichtungskategorie werden Gewichtungswerte (sogenannter Weighting Scores, Tab. 2) von (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben, während in Sonderfällen Gewichtungswerte von 0 sowie (±) 0,01 oder 0,5 vergeben werden können (eine ausführliche Erklärung der Vergabe von Gewichtungswerten erfolgt unten).


Aus einer qualitativen Literaturaussage entsteht so eine quantitative Bewertung von Leveln innerhalb der Attribute eines Haltungsverfahrens, wodurch deren Einfluss auf die Tiergerechtheit in einer Rangfolge festgelegt werden kann. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet. Anhand des Gewichtungswertes der besten und schlechtesten Level wird ein Gewichtungsfaktor berechnet:
Aus einer qualitativen Literaturaussage entsteht so eine quantitative Bewertung von Leveln innerhalb der Attribute eines Haltungsverfahrens, wodurch deren Einfluss auf die Tiergerechtheit in einer Rangfolge festgelegt werden kann. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet. Anhand des Gewichtungswertes des besten und schlechtesten Levels wird eine Gewichtung für das Attribut und dividiert durch die Summe aller Gewichtungen der Gewichtungsfaktor berechnet:


Gewichtungsfaktor (GF) = Summe der jeweils maximalen Gewichtungswerte je Gewichtungskategorie des besten Levels – Summe der jeweils schlechtesten Levels
Gewichtungsfaktor (GF) = Die Gewichtung eines Attributs dividiert durch die Summe der Gewichtungen aller Attribute
[[Datei:20240304-Tiergerechtheit.svg|zentriert|mini|800x800px|Abb. 2: Berechnung der Gewichtungsfaktoren (© KTBL; C. Müller)]]


Multipliziert man diesen Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt diese Kalkulation den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut. Die Summe des „Tiergerechtheitswertes” aller Attribute ergibt das Tiergerechtheitspotenzial (TGP) des Haltungsverfahrens. Das Tiergerechtheitspotenzial ist eine Dezimalzahl zwischen „0“ und „1“, wobei eins der bestmögliche Wert ist.
Multipliziert man diesen Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt diese Kalkulation den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut. Die Summe des „Tiergerechtheitswertes” aller Attribute ergibt das Tiergerechtheitspotenzial (TGP) des Haltungsverfahrens. Das Tiergerechtheitspotenzial ist eine Dezimalzahl zwischen „0“ und „1“, wobei eins der bestmögliche Wert ist.
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==== Transformation der Literaturaussagen ====
==== Transformation der Literaturaussagen ====
Die identifizierten Literaturaussagen werden anschließend in Wenn-dann- Sätze transformiert (für mehr Details siehe auch Vonholdt-Wenker et al., eingereicht), was dabei hilft die Level festzulegen (Wenn …) und die Zuordnung zur entsprechenden Gewichtungskategorie (dann …) vorzunehmen (Abb. 3, Schritt 2). In Beispiel 1 (Abb. 3) wären „Schatten nicht vorhanden“ und „Schatten vorhanden“ die Level, die innerhalb des Attributs „Witterungsschutz“ miteinander verglichen werden. Allerdings kann dem Wenn-dann-Satz keine Gewichtungskategorie zugeordnet werden, da beispielsweise vorhandener Schatten zu einer Minimierung von Verlusten in der Milchproduktion und Reproduktion führt. Bei fehlendem Schatten erfolgt also ein Einfluss auf die Fitness des Tieres, welche einer negativen Gewichtungskategorie zugeordnet wird. Der Wenn-dann-Satz muss also umgekehrt werden (Abb. 3, Schritt 3). Der Inhalt der zugrundeliegenden Literaturaussage wird dadurch nicht verändert und eine Zuordnung zu den Gewichtungskategorien ist nun möglich. Da nicht vorhandener Schatten zu einem Rückgang der Milchproduktion sowie einer reduzierten Reproduktion führt und somit Auswirkungen auf die Fitness des Tieres hat, wird diesem Level die Gewichtungskategorie „Fitness“ zugeordnet. Die so gewonnenen Informationen aus der Literaturaussage werden in eine Datenbank übertragen (Abb. 3, Schritt 3).
Die identifizierten Literaturaussagen werden anschließend in Wenn-dann- Sätze transformiert (für mehr Details siehe auch Vonholdt-Wenker et al., eingereicht), was dabei hilft die Level festzulegen (Wenn …) und die Zuordnung zur entsprechenden Gewichtungskategorie (dann …) vorzunehmen (Abb. 3, Schritt 2). In Beispiel 1 (Abb. 3) wären „Schatten nicht vorhanden“ und „Schatten vorhanden“ die Level, die innerhalb des Attributs „Witterungsschutz“ miteinander verglichen werden. Allerdings kann dem Wenn-dann-Satz keine Gewichtungskategorie zugeordnet werden, da beispielsweise vorhandener Schatten zu einer Minimierung von Verlusten in der Milchproduktion und Reproduktion führt. Bei fehlendem Schatten erfolgt also ein Einfluss auf die Fitness des Tieres, welche einer negativen Gewichtungskategorie zugeordnet wird. Der Wenn-dann-Satz muss also umgekehrt werden (Abb. 3, Schritt 3). Der Inhalt der zugrundeliegenden Literaturaussage wird dadurch nicht verändert und eine Zuordnung zu den Gewichtungskategorien ist nun möglich. Da nicht vorhandener Schatten zu einem Rückgang der Milchproduktion sowie einer reduzierten Reproduktion führt und somit Auswirkungen auf die Fitness des Tieres hat, wird diesem Level die Gewichtungskategorie „Fitness“ zugeordnet (Abb. 3, Schritt 3). Die so gewonnenen Informationen aus der Literaturaussage werden in eine [https://doi.org/10.5281/zenodo.10259930 Datenbank] übertragen (Benthin et al. (2023b).


[[Datei:Grafik TG 2.png|Abb. 2: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Zusammenhängen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)]]
[[Datei:Grafik TG 2.png|Abb. 2: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Zusammenhängen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)]]


Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Sätzen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)
<small>Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Sätzen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)</small>


=== 4 Vergabe der Gewichtungswerte ===
=== 4 Vergabe der Gewichtungswerte ===
[[Datei:Tiergerechtheit Gewichtungsfaktoren.png|zentriert|mini|800x800px|<small>Abb. 4: Berechnung der Gewichtung (G) und des Gewichtungsfaktors (GF) (© KTBL; C. Müller)</small>]]


===== Die Gewichtungswerte =====
===== Die Gewichtungswerte =====
Die Vergabe der Gewichtungswerte erfolgt anhand der entsprechenden Literaturaussagen und der definierten Gewichtungskategorien (Tab.1). Dabei werden in der Regel die drei den Gewichtungskategorien zugeordneten Gewichtungswerte (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben (Bracke et al. 2002). Somit können für die Gewichtungskategorien, bei denen ein größerer Einfluss auf das Tier angenommen wird (Bedarf, Schmerz, Krankheit, Überleben, HPA sowie Frustration und Vermeidung), höhere Gewichtungswerte vergeben werden. Der Gewichtungswert von (±) 1 wird immer dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage ein statistisch signifikanter Unterschied (i. d. R. p < 0.05) zwischen den direkt miteinander verglichenen Leveln eines Attributs besteht. Die Gewichtungswerte (±) 2 und 3 bzw. (±) 3 und 5 werden dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage hervorgeht, dass der Effekt auf das Tier durch die Häufigkeit, Dauer oder Schwere des Einflusses stark ausgeprägt ist. Weiterhin werden Signalwörter, wie z. B. „much (viel)“, „highly (hoch)“, „very (sehr)“ oder „large (groß)“ in der Literaturaussage als Hinweis auf die Zuordnung höherer Gewichtungswerte oder auch besonders hohe Prävalenzen von beeinträchtigen Tieren berücksichtigt (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht).
Die Vergabe der Gewichtungswerte erfolgt anhand der entsprechenden Literaturaussagen und der definierten Gewichtungskategorien (Tab. 2). Dabei werden in der Regel die drei den Gewichtungskategorien zugeordneten Gewichtungswerte (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben (Bracke et al. 2002). Somit können für die Gewichtungskategorien, bei denen ein größerer Einfluss auf das Tier angenommen wird (Bedarf, Schmerz, Krankheit, Überleben, HPA sowie Frustration und Vermeidung), höhere Gewichtungswerte vergeben werden. Der Gewichtungswert von (±) 1 wird immer dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage ein statistisch signifikanter Unterschied (i. d. R. p < 0.05) zwischen den direkt miteinander verglichenen Leveln eines Attributs besteht. Die Gewichtungswerte (±) 2 und 3 bzw. (±) 3 und 5 werden dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage hervorgeht, dass der Effekt auf das Tier durch die Häufigkeit, Dauer oder Schwere des Einflusses stark ausgeprägt ist. Weiterhin werden Signalwörter, wie z. B. „much (viel)“, „highly (hoch)“, „very (sehr)“ oder „large (groß)“ in der Literaturaussage als Hinweis auf die Zuordnung höherer Gewichtungswerte oder auch besonders hohe Prävalenzen von beeinträchtigen Tieren berücksichtigt (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht).


===== Die Spezialfälle =====
===== Die Spezialfälle =====
Als Sonderfälle können in allen Gewichtungskategorien die Gewichtungswerte 0 sowie (±) 0,01 und 0,5 vergeben werden. Ein Gewichtungswert von (±) 0,5 wird immer dann vergeben, wenn beispielsweise eine Empfehlung vorlag oder wenn sich die in der Literaturaussage miteinander verglichenen Level nicht signifikant unterscheiden, sondern eine sogenannte Tendenz besteht (meist bei Signifikanzwerten zwischen > 0,05 und < 0,1). Hierbei dienen Signalwörter, wie „may (darf)“, „tendency (tendenziell)“, „could (kann)“ oder „might (könnte)“ (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht) als Hinweis auf die Zuordnung des Gewichtungswerts (Abb. 4). Die Level dieser Literaturaussagen erhalten somit eine geringere Gewichtung und können daher in die Modellkalkulationen einbezogen werden, ohne das Ergebnis zu verzerren (Benthin et al., in Vorbereitung).
Als Sonderfälle können in allen Gewichtungskategorien die Gewichtungswerte 0 sowie (±) 0,01 und 0,5 vergeben werden. Ein Gewichtungswert von (±) 0,5 wird immer dann vergeben, wenn beispielsweise eine Empfehlung vorlag oder wenn sich die in der Literaturaussage miteinander verglichenen Level nicht signifikant unterscheiden, sondern eine sogenannte Tendenz besteht (meist bei Signifikanzwerten zwischen > 0,05 und < 0,1). Hierbei dienen Signalwörter, wie „may (darf)“, „tendency (tendenziell)“, „could (kann)“ oder „might (könnte)“ (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht) als Hinweis auf die Zuordnung des Gewichtungswerts (Abb. 4). Die Level dieser Literaturaussagen erhalten somit eine geringere Gewichtung und können daher in die Modellkalkulationen einbezogen werden, ohne das Ergebnis zu verzerren (Benthin et al., in Vorbereitung).


Für Literaturaussagen, bei denen kein direkter Vergleich zwischen zwei Leveln eines Attributs vorgenommen wird, wird der Gewichtungswert (±) 0,01 als noch unbestimmte Größe vergeben (Abb. 4, Schritt 3). In Beispiel 2 (Abb. 4) besagt die Literaturaussage, dass Einstreu aufgrund der darin enthaltenen Pathogenen und erhöhten Staubgehalten einen negativen Effekt auf das Tierwohl haben kann. Da keine direkte Aussage zu Haltungsverfahren ohne Einstreu möglich ist, muss hierfür nach weiteren Literaturaussagen gesucht werden. Durch den geringen Gewichtungswert als noch unbestimmte Größe kann die bestehende Literaturaussage für die Modellkalkulationen genutzt werden, ohne dass eine Verzerrung des Ergebnisses befürchtet werden muss.
Für Literaturaussagen, bei denen kein direkter Vergleich zwischen zwei Leveln eines Attributs vorgenommen wird, wird der Gewichtungswert (±) 0,01 als noch unbestimmte Größe vergeben (Abb. 5, Schritt 3). In Beispiel 2 (Abb. 5) besagt die Literaturaussage, dass Einstreu aufgrund der darin enthaltenen Pathogenen und erhöhten Staubgehalten einen negativen Effekt auf das Tierwohl haben kann. Da keine direkte Aussage zu Haltungsverfahren ohne Einstreu möglich ist, muss hierfür nach weiteren Literaturaussagen gesucht werden. Durch den geringen Gewichtungswert als noch unbestimmte Größe kann die bestehende Literaturaussage für die Modellkalkulationen genutzt werden, ohne dass eine Verzerrung des Ergebnisses befürchtet werden muss.


[[Datei:Grafik TG 3.jpg|Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte]]
[[Datei:Grafik TG 3.jpg|Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte]]


Abb. 4: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte
<small>Abb. 5: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte</small>


=== 5 Bewertungen durch Expertinnen und Experten ===
=== 5 Bewertungen durch Expertinnen und Experten ===
Das zur Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials zugrundeliegende semantische Modell bezieht Literaturaussagen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein. Da aber gerade zu neuen und innovativen Haltungsverfahren oftmals Studien fehlen, werden an diesen Stellen Bewertungen von Expertinnen und Experten in den Modellkalkulationen berücksichtigt. Auch eine vollständige Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Produktionsrichtungen können anhand von Bewertungen von Expertinnen und Experten erfolgen. So erfolgte aufgrund zeitlicher Einschränkungen die Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Mastschweine, Milchkühe und Legehennen in InKalkTier auf Literaturbasis – die vollständige Liste der genutzten Referenzen, Statements und deren Bewertung kann unter Benthin et al. (2023b) eingesehen werden.
Das zur Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials zugrundeliegende semantische Modell bezieht Literaturaussagen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein. Da aber gerade zu neuen und innovativen Haltungsverfahren oftmals Studien fehlen, werden an diesen Stellen Bewertungen von Expertinnen und Experten in den Modellkalkulationen berücksichtigt. Auch eine vollständige Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Produktionsrichtungen können anhand von Bewertungen von Expertinnen und Experten erfolgen. So erfolgte aufgrund zeitlicher Einschränkungen die Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Mastschweine, Milchkühe und Legehennen in InKalkTier auf Literaturbasis – die vollständige Liste der genutzten Referenzen, Statements und deren Bewertung kann unter Benthin et al. (2023b) eingesehen werden.


Die Bewertung der anderen, in InKalkTier dargestellten, Produktionsrichtungen erfolgt durch Bewertungen von Expertinnen und Experten. Diese wurden anhand von Online-Fragebögen und in moderierten Gruppendiskussionen abgefragt. Die Bewertung erfolgte analog zur Bewertung durch wissenschaftliche Literaturaussagen anhand von zwölf Gewichtungskategorien (Tab. 1).
Die Bewertung der anderen, in InKalkTier dargestellten, Produktionsrichtungen erfolgt durch Bewertungen von Expertinnen und Experten. Diese wurden anhand von Online-Fragebögen und in moderierten Gruppendiskussionen abgefragt. Die Bewertung erfolgte analog zur Bewertung durch wissenschaftliche Literaturaussagen anhand der 12 Gewichtungskategorien (Tab. 2).


=== Literatur ===
=== Literatur ===
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Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K.; Schrader, L.; Brucker, L.; Christ, F.; Kimmich, S.; Rauen, A.; Schneider, K.; Urvoy, C.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T.; Müller, C.; Richter, A.; Kugler, M.; Hartmann, W.; Harmsen, B.; Krause, M. (2023a): Welche Haltungssysteme sind zukunftsfähig? DGS, Magazin für Geflügelwirtschaft, 75. Jahrgang, S. 16–18
Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K.; Schrader, L.; Brucker, L.; Christ, F.; Kimmich, S.; Rauen, A.; Schneider, K.; Urvoy, C.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T.; Müller, C.; Richter, A.; Kugler, M.; Hartmann, W.; Harmsen, B.; Krause, M. (2023a): Welche Haltungssysteme sind zukunftsfähig? DGS, Magazin für Geflügelwirtschaft, 75. Jahrgang, S. 16–18


Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K. (2023b): Datenbank mit Literaturangaben, die für die Bewertung der Tiergerechtheit im Projekt InKalkTier verwendet wurden. Zenodo,. <nowiki>https://doi.org/10.5281/zenodo.10259930</nowiki>
Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K. (2023b): Datenbank mit Literaturangaben, die für die Bewertung der Tiergerechtheit im Projekt InKalkTier verwendet wurden. Zenodo. <nowiki>https://doi.org/10.5281/zenodo.10259930</nowiki>


Bracke, M. B. M.; Spruijt, B. M.; Metz, J. H. M.; Schouten, W. G. P. (2002): Decision support system for overall welfare assessment in pregnant sows A: Model structure and weighting procedure. In: Journal of Animal Sciences 80, S. 1.819-1.834, <nowiki>https://doi.org/10.2527/2002.8071819x</nowiki>   
Bracke, M. B. M.; Spruijt, B. M.; Metz, J. H. M.; Schouten, W. G. P. (2002): Decision support system for overall welfare assessment in pregnant sows A: Model structure and weighting procedure. In: Journal of Animal Sciences 80, S. 1.819-1.834, <nowiki>https://doi.org/10.2527/2002.8071819x</nowiki>   


Vonholdt-Wenker, M. L.; Benthin, J.; Kauselmann, K.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T. (eingereicht): Semantic modelling of animal welfare explained: Guidelines for the decomposition of scientific statements and the basis of welfare weighting. Animal. (Für eine vollständige Version des Artikels wenden Sie sich bitte an: margret.vonholdt-wenker@fli.de)
Vonholdt-Wenker, M. L.; Benthin, J.; Kauselmann, K.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T. (eingereicht): Semantic modelling of animal welfare explained: Guidelines for the decomposition of scientific statements and the basis of welfare weighting. Animal. (Für eine vollständige Version des Artikels wenden Sie sich bitte an: margret.vonholdt-wenker@fli.de)

Aktuelle Version vom 11. November 2024, 15:03 Uhr

1 Wichtige Begriffe und Formeln zum Verständnis

Tiergerechtheitspotenzial (TGP): Rechnerischer Beitrag den baulich-technische Elemente eines Haltungsverfahrens zur tiergerechten Haltung leisten. Das Potenzial wird mit einem Wert auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei 0 als „wenig tiergerecht“ und 1 als „besonders tiergerecht“ interpretiert werden kann

TGP = ∑ TGWA

TGP = Tiergerechtheitspotenzial

TGWA = Tiergerechtheitswert je Attribut

Tiergerechtheitswert (TGW): Multipliziert man den Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt dies den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut

TGWA = LSA ∙ GFA

TGWA = Tiergerechtheitswert je Attribut

LSA = Levelscore je Attribut

GFA = Gewichtungsfaktor je Attribut

Levelscore (LS): Für die Level der Attribute wird im Hinblick auf deren Einfluss auf die Tiergerechtheit eine Rangfolge festgelegt. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet

Formel Levelscore TGP.png




Tab. 1: Beispielberechnung des Levelscores für das Tiergerechtheitspotenzial

Funktionskreis Attribut Level Ausprägung Levelscore
Futter- und Wasseraufnahme Tränketyp 1 Beckentränke mit automatischer Dosierung 1
2 Beckentränke mit Selbstdosierung 0,5
3 Nippeltränke 0
Körperpflegeverhalten Komforteinrichtung 1 Bürsten 1
2 Scheuerbalken 0,67
3 geschlossene Buchtentrennwand 0,33
4 nicht vorhanden 0

Für Level 2 des Attributs Tränketyp berechnet sich der Levelscore laut Formel: (3 – 2) / (3 – 1) = 0,5

Für Level 3 des Attributs Komforteinrichtung berechnet sich der Levelscore laut Formel: (4 – 3) / (4 – 1) = 0,33


Level: Ausprägung von Attributen, z. B. planbefestigter Boden, perforierter Boden, teilperforierte Boden

Attribut: Baulich-technische Elemente innerhalb eines Haltungsverfahrens, z. B. Bodentyp, Tränketyp, Kühlungsmöglichkeiten, Komforteinrichtung

Funktionskreis: Die Attribute werden den Verhaltensweise der Tiere und den entsprechenden Funktionskreisen zugeordnet, z. B. Erkundungsverhalten

Gewichtungsfaktor (GF): Die Gewichtung eines Attributs geteilt durch die Summe der Gewichtungen aller Attribute (Abb. 4)

Formel Gewichtungsfaktor TGP.png




Gewichtung (G): Summe der jeweils maximalen Gewichtungswerte je Gewichtungskategorie des besten Levels – Summe der jeweils schlechtesten Levels (Abb. 4)

Gewichtungswerte: Werden abhängig von den Gewichtungskategorien und einer Literaturaussage vergeben. Basierend auf der Intensität, Dauer und Häufigkeit spiegeln sie den Schweregrad des Einflusses eines Levels auf das Tier wider und können einen negativen oder positiven Einfluss haben, was sich durch das Vorzeichen des Wertes ausdrückt

Gewichtungskategorien: Klassifizieren die Aussagen aus wissenschaftlichen Studien, die sich positiv oder negativ auf das Wohlergehen der Tiere auswirken können. Anhand dieser Kategorien werden die Einflüsse und Auswirkungen von Leveln eines Attributes auf die Tiergerechtheit bewertet. Die Bewertung erfolgt durch 12 definierte Kategorien (9 negative und 3 positive Kategorien, Tab. 2)

Abb. 1: Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials (© KTBL; L. Brucker)

2 Semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002)

Der Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials (TGP) für InKalkTier (Benthin et al. 2023a) liegt ein semantisches Modell in Anlehnung an Bracke et al. (2002) zugrunde. Anhand des Modells können Literaturaussagen (sogenannte Statements) aus der wissenschaftlichen Literatur einbezogen werden, um Attribute eines Haltungsverfahrens (z. B. Bodentyp) mit ihren jeweiligen Leveln (z. B. perforierter Boden, planbefestigter Boden) hinsichtlich ihrer Effekte auf die Tiergerechtheit zu bewerten.

Attribute beschreiben Bedürfnisse

Die Attribute mit ihren Leveln sind eng an mindestens ein Bedürfnis der entsprechenden Tierart geknüpft, das im Haltungsverfahren erfüllt sein muss, um eine hohe Tiergerechtheit gewährleisten zu können (z. B. Legehennen mit Attribut: Sitzstangen und Bedürfnis: Ruhen). Bei der Auswahl der Attribute zur Bewertung der Haltungsverfahren werden die Attribute so gewählt, dass möglichst alle Bedürfnisse der Tiere abgedeckt werden. Die Bewertung der entsprechenden Level eines Attributs werden anhand von Gewichtungskategorien (Weighting Categories, Tab. 2) bewertet, die je nach Effekt auf die Tiergerechtheit positiv (natürliches Verhalten, Präferenz, Bedarf) oder negativ (Schmerz, Krankheit, Überleben, Fitness, HPA, SAM, Aggression, abnormales Verhalten, Frustration und Vermeidung) gewichtet werden.

Tab. 2: Drei positive (grün) und neun negative (rot) Gewichtungskategorien, abgeleitet aus Studien im Hinblick auf Tiergerechtheit, mit ihren Definitionen und Gewichtungswerten (nach Bracke et al. 2002)

Gewichtungs-kategorie Definition Gewichtungs-werte
Natürliches Verhalten Belege für Verhalten unter (semi-)natürlichen Bedingungen, einschließlich Zeitbudgets und Spezies-Spezifität dieses Verhaltens. +1 / +2 / +3
Präferenz Hinweise auf Präferenzen (z. B. Erkenntnisse aus Präferenztests), die in der gegebenen Haltungsumgebung gezeigt werden. +1 / +2 / +3
Bedarf Belege dafür, dass Tiere sich anstrengen, um eine Ressource zu erhalten. +1 / +3 / +5
Schmerz Anzeichen von Schmerzen, einschließlich Lahmheit und Hautläsionen, die z. B. durch Aggression entstanden sind. -1 / -3 / -5
Krankheit Anzeichen von Gesundheitsproblemen, einschließlich erhöhter Sterblichkeit, jedoch ohne Lahmheit, Hautläsionen und spezifische Überlebensaspekte. -1 / -3 / -5
Überleben Belege für eine verringerte Überlebensrate aufgrund physiologischer Erfordernisse (mit Ausnahme spezifischer Gesundheitsprobleme), z. B. Langlebigkeit, Nahrungs- oder Wasserentzug und schlechtes Klima. -1 / -3 / -5
Fitness Hinweise auf eine verminderte Fitness (die wahrscheinlich auf einen negativen Affekt hinweist), einschließlich (Re‑)Produktionseffekten, aber ohne spezifische Überlebensaspekte im Zusammenhang mit physiologischen Notwendigkeiten, Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA) und Krankheit. -1 / -2 / -3
HPA Hinweise auf eine Aktivierung der HPA-Achse, die auf einen Stresszustand hinweist. -1 / -3 / -5
SAM Anzeichen für eine Aktivierung des sympathoadrenomedullären Systems (SAM), die auf einen negativen Affekt hinweist, z. B. erhöhte Herzfrequenz und (Nor‑)Adrenalinspiegel. -1 / -2 / -3
Aggression Anzeichen von erhöhter Aggression, ausgenommen Hautverletzungen (vgl. Gewichtungskategorie „Schmerz“). -1 / -2 / -3
Abnormales Verhalten Anzeichen für gestörtes Verhalten, wie orale Stereotypien, Apathie und gestörtes Sexualverhalten. -1 / -2 / -3
Frustration und Vermeidung Anzeichen von blockiertem Verhalten oder Deprivation, einschließlich der Bereitschaft zu arbeiten, um eine Behandlung zu vermeiden. -1 / -2 / -3

HPA = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse; SAM = sympathoadrenomedullären Systems

In Abhängigkeit der Literaturaussagen und der Gewichtungskategorie werden Gewichtungswerte (sogenannter Weighting Scores, Tab. 2) von (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben, während in Sonderfällen Gewichtungswerte von 0 sowie (±) 0,01 oder 0,5 vergeben werden können (eine ausführliche Erklärung der Vergabe von Gewichtungswerten erfolgt unten).

Aus einer qualitativen Literaturaussage entsteht so eine quantitative Bewertung von Leveln innerhalb der Attribute eines Haltungsverfahrens, wodurch deren Einfluss auf die Tiergerechtheit in einer Rangfolge festgelegt werden kann. Durch die Rangfolge wird das beste und schlechteste Level innerhalb eines Attributs festgelegt und in Abhängigkeit der Bewertung ein Levelscore (Wert zwischen 0 und 1) berechnet. Anhand des Gewichtungswertes des besten und schlechtesten Levels wird eine Gewichtung für das Attribut und dividiert durch die Summe aller Gewichtungen der Gewichtungsfaktor berechnet:

Gewichtungsfaktor (GF) = Die Gewichtung eines Attributs dividiert durch die Summe der Gewichtungen aller Attribute

Multipliziert man diesen Gewichtungsfaktor mit dem Levelscore eines Attributes ergibt diese Kalkulation den „Tiergerechtheitswert” für dieses Attribut. Die Summe des „Tiergerechtheitswertes” aller Attribute ergibt das Tiergerechtheitspotenzial (TGP) des Haltungsverfahrens. Das Tiergerechtheitspotenzial ist eine Dezimalzahl zwischen „0“ und „1“, wobei eins der bestmögliche Wert ist.

Durch die unterschiedlichen Ausprägungen von Leveln innerhalb der Attribute von Haltungsverfahren können so die unterschiedlichen Tiergerechtheitspotenziale zwischen Haltungsverfahren auf der Grundlage wissenschaftlicher Literatur berechnet werden und anhand ihrer Werte des Tiergerechtheitspotenzials verglichen werden.

3 Wie Literaturstatements für die Modellkalkulationen genutzt werden

Die Quellen

Für die Modellkalkulationen werden Artikel (Originalstudien oder Literatur-Reviews) oder veröffentlichte wissenschaftliche Berichte, z. B. der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) herangezogen, bei denen der Volltext vorliegt. In den jeweiligen wissenschaftlichen Literaturquellen werden Literaturaussagen selektiert, die eine Bewertung von Elementen eines Haltungsverfahrens zulassen, also beispielsweise Level (z. B. „Schatten vorhanden“ und „Schatten nicht vorhanden“) innerhalb eines Attributs (z. B. „Witterungsschutz“) von Haltungsverfahren vergleichen (Abb. 3, Schritt 1). Es können jedoch auch Einschätzungen von Expertinnen und Experten als Aussagen herangezogen werden.

Transformation der Literaturaussagen

Die identifizierten Literaturaussagen werden anschließend in Wenn-dann- Sätze transformiert (für mehr Details siehe auch Vonholdt-Wenker et al., eingereicht), was dabei hilft die Level festzulegen (Wenn …) und die Zuordnung zur entsprechenden Gewichtungskategorie (dann …) vorzunehmen (Abb. 3, Schritt 2). In Beispiel 1 (Abb. 3) wären „Schatten nicht vorhanden“ und „Schatten vorhanden“ die Level, die innerhalb des Attributs „Witterungsschutz“ miteinander verglichen werden. Allerdings kann dem Wenn-dann-Satz keine Gewichtungskategorie zugeordnet werden, da beispielsweise vorhandener Schatten zu einer Minimierung von Verlusten in der Milchproduktion und Reproduktion führt. Bei fehlendem Schatten erfolgt also ein Einfluss auf die Fitness des Tieres, welche einer negativen Gewichtungskategorie zugeordnet wird. Der Wenn-dann-Satz muss also umgekehrt werden (Abb. 3, Schritt 3). Der Inhalt der zugrundeliegenden Literaturaussage wird dadurch nicht verändert und eine Zuordnung zu den Gewichtungskategorien ist nun möglich. Da nicht vorhandener Schatten zu einem Rückgang der Milchproduktion sowie einer reduzierten Reproduktion führt und somit Auswirkungen auf die Fitness des Tieres hat, wird diesem Level die Gewichtungskategorie „Fitness“ zugeordnet (Abb. 3, Schritt 3). Die so gewonnenen Informationen aus der Literaturaussage werden in eine Datenbank übertragen (Benthin et al. (2023b).

Abb. 2: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Zusammenhängen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)

Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Transformation von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen - umdrehen von Literaturaussagen unter Nutzung von „Wenn … dann …“ (If …. Then …) Sätzen (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht)

4 Vergabe der Gewichtungswerte

Abb. 4: Berechnung der Gewichtung (G) und des Gewichtungsfaktors (GF) (© KTBL; C. Müller)
Die Gewichtungswerte

Die Vergabe der Gewichtungswerte erfolgt anhand der entsprechenden Literaturaussagen und der definierten Gewichtungskategorien (Tab. 2). Dabei werden in der Regel die drei den Gewichtungskategorien zugeordneten Gewichtungswerte (±) 1, 2 und 3 oder (±) 1, 3 und 5 vergeben (Bracke et al. 2002). Somit können für die Gewichtungskategorien, bei denen ein größerer Einfluss auf das Tier angenommen wird (Bedarf, Schmerz, Krankheit, Überleben, HPA sowie Frustration und Vermeidung), höhere Gewichtungswerte vergeben werden. Der Gewichtungswert von (±) 1 wird immer dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage ein statistisch signifikanter Unterschied (i. d. R. p < 0.05) zwischen den direkt miteinander verglichenen Leveln eines Attributs besteht. Die Gewichtungswerte (±) 2 und 3 bzw. (±) 3 und 5 werden dann vergeben, wenn aus der Literaturaussage hervorgeht, dass der Effekt auf das Tier durch die Häufigkeit, Dauer oder Schwere des Einflusses stark ausgeprägt ist. Weiterhin werden Signalwörter, wie z. B. „much (viel)“, „highly (hoch)“, „very (sehr)“ oder „large (groß)“ in der Literaturaussage als Hinweis auf die Zuordnung höherer Gewichtungswerte oder auch besonders hohe Prävalenzen von beeinträchtigen Tieren berücksichtigt (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht).

Die Spezialfälle

Als Sonderfälle können in allen Gewichtungskategorien die Gewichtungswerte 0 sowie (±) 0,01 und 0,5 vergeben werden. Ein Gewichtungswert von (±) 0,5 wird immer dann vergeben, wenn beispielsweise eine Empfehlung vorlag oder wenn sich die in der Literaturaussage miteinander verglichenen Level nicht signifikant unterscheiden, sondern eine sogenannte Tendenz besteht (meist bei Signifikanzwerten zwischen > 0,05 und < 0,1). Hierbei dienen Signalwörter, wie „may (darf)“, „tendency (tendenziell)“, „could (kann)“ oder „might (könnte)“ (Vonholdt-Wenker et al., eingereicht) als Hinweis auf die Zuordnung des Gewichtungswerts (Abb. 4). Die Level dieser Literaturaussagen erhalten somit eine geringere Gewichtung und können daher in die Modellkalkulationen einbezogen werden, ohne das Ergebnis zu verzerren (Benthin et al., in Vorbereitung).

Für Literaturaussagen, bei denen kein direkter Vergleich zwischen zwei Leveln eines Attributs vorgenommen wird, wird der Gewichtungswert (±) 0,01 als noch unbestimmte Größe vergeben (Abb. 5, Schritt 3). In Beispiel 2 (Abb. 5) besagt die Literaturaussage, dass Einstreu aufgrund der darin enthaltenen Pathogenen und erhöhten Staubgehalten einen negativen Effekt auf das Tierwohl haben kann. Da keine direkte Aussage zu Haltungsverfahren ohne Einstreu möglich ist, muss hierfür nach weiteren Literaturaussagen gesucht werden. Durch den geringen Gewichtungswert als noch unbestimmte Größe kann die bestehende Literaturaussage für die Modellkalkulationen genutzt werden, ohne dass eine Verzerrung des Ergebnisses befürchtet werden muss.

Abb. 3: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte

Abb. 5: Schrittweises Vorgehen bei der Wandlung von Literaturaussagen zur Nutzung für die Modellkalkulationen – Verwendung der Sonderfälle für Gewichtungswerte

5 Bewertungen durch Expertinnen und Experten

Das zur Berechnung des Tiergerechtheitspotenzials zugrundeliegende semantische Modell bezieht Literaturaussagen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein. Da aber gerade zu neuen und innovativen Haltungsverfahren oftmals Studien fehlen, werden an diesen Stellen Bewertungen von Expertinnen und Experten in den Modellkalkulationen berücksichtigt. Auch eine vollständige Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Produktionsrichtungen können anhand von Bewertungen von Expertinnen und Experten erfolgen. So erfolgte aufgrund zeitlicher Einschränkungen die Bewertung des Tiergerechtheitspotenzials für Mastschweine, Milchkühe und Legehennen in InKalkTier auf Literaturbasis – die vollständige Liste der genutzten Referenzen, Statements und deren Bewertung kann unter Benthin et al. (2023b) eingesehen werden.

Die Bewertung der anderen, in InKalkTier dargestellten, Produktionsrichtungen erfolgt durch Bewertungen von Expertinnen und Experten. Diese wurden anhand von Online-Fragebögen und in moderierten Gruppendiskussionen abgefragt. Die Bewertung erfolgte analog zur Bewertung durch wissenschaftliche Literaturaussagen anhand der 12 Gewichtungskategorien (Tab. 2).

Literatur

Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K.; Schrader, L.; Brucker, L.; Christ, F.; Kimmich, S.; Rauen, A.; Schneider, K.; Urvoy, C.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T.; Müller, C.; Richter, A.; Kugler, M.; Hartmann, W.; Harmsen, B.; Krause, M. (2023a): Welche Haltungssysteme sind zukunftsfähig? DGS, Magazin für Geflügelwirtschaft, 75. Jahrgang, S. 16–18

Benthin, J.; Vonholdt-Wenker, M. L.; Kauselmann, K. (2023b): Datenbank mit Literaturangaben, die für die Bewertung der Tiergerechtheit im Projekt InKalkTier verwendet wurden. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.10259930

Bracke, M. B. M.; Spruijt, B. M.; Metz, J. H. M.; Schouten, W. G. P. (2002): Decision support system for overall welfare assessment in pregnant sows A: Model structure and weighting procedure. In: Journal of Animal Sciences 80, S. 1.819-1.834, https://doi.org/10.2527/2002.8071819x

Vonholdt-Wenker, M. L.; Benthin, J.; Kauselmann, K.; Bracke, M. B. M.; Krause, E. T. (eingereicht): Semantic modelling of animal welfare explained: Guidelines for the decomposition of scientific statements and the basis of welfare weighting. Animal. (Für eine vollständige Version des Artikels wenden Sie sich bitte an: margret.vonholdt-wenker@fli.de)